Gabriele Heidecker

Willy Athenstätt

THE NEVER ENDING DINNER
Installation in der Ostkrypta des St. Petri Doms zu Bremen 2001

 

Vom 10. Juni bis 10. Juli 2001 richtete Gabriele Heidecker in der Krypta des Bremer Doms ihre Installation THE NEVER ENDING DINNER in einer eigenständigen Fassung des schon 1990 in Berlin, 1996 in Jerusalem und 1997 in Konstanz präsentierten Werks ein.

Die Erstfassung wurde unter dem Titel NACHT MAHL - ZWEI TISCHE in einer Berliner Kaserne gezeigt. An diesem Ort, einem ehemaligen Preussischen Militärkomplex, hatte sich 1936 ein sogenanntes Schwarzes KZ befunden., in dem politische Häftlinge gefangen gehalten, gefoltert und ermordet wurden. THE NEVER ENDING DINNER als künstlerische Auseinandersetzung mit dem deutschen Faschismus wurde dann in Israel im Künstlerhaus Jerusalems wieder ausgestellt und wiederum in einem Kontext jüdischer Geschichte, im Rosgartenmuseum, wo im frühen Mittelalter vermutlich die konstanzer jüdische Schule stand. Schon auf diesen drei Stationen machte die Installation Wandlungen durch. Für Bremen wurde sie erneut umgestaltet. Hier nun bildete sie einen Raum im Raum, der an seinen Stirnseiten scheinbar durch hohe Glastafeln begrenzt wurde. Zwischen diesen Wänden stand eine Tischreihe, eine Tafel, die Tischfläche auch gläsern. Darauf standen bzw. lagen im Wechsel brennende Kerzen und Gegenstände.


Wer sich in der dämmerigen Ruhe der Krypta auf dieses Arrangement einließ und die Details wahrnahm, konnte Ansichten gewinnen, die den Betrachter zu einem Verständnis des Objekts leiteten:
Die schlichten Kerzen standen in Blechdosen, in denen man sonst Filmrollen aufbewahrt. Die sich damit abwechselnden Gegenstände waren Haarbüschel in verschiedenen Farben. Beide bildeten - verursacht durch die spiegelnden Glastafeln - eine endlose Reihe, so dass sich der Raum im Raum virtuell ins Unendliche erstreckte. Die optische Ausdehnung der Installation machte deutlich, dass die Bedeutung des Arrangements auf Umfassendes angelegt war, was sich auch darin dokumentierte, dass die Linie der reflektierten Lichter und Büschel auf dem Tisch auf den Betrachter zu ja hindurch lief, wenn er einen Platz hinter der gläsernen Trennscheibe einnahm. Er wurde also unmittelbar Bestandteil des NEVER ENDING DINNER, konnte nicht passiver Beobachter bleiben. Die Rolle des Betrachters in dieser Konstellation gestaltete sich zusätzlich in besonderer Weise, blickte er doch durch eine sogenannte Spionagescheibe (die Glastafeln waren einseitig Spiegel, von der Rückseite her transparent) auf den Tisch. Er wurde quasi zum geheimen Zuschauer, zum Voyeur. Prinzipiell ist Voyeurtum moralisch verwerflich, jedoch wirft sich der indiskrete Blick auf den versteckten Zuschauer zurück. Er kann nicht anders, als sich bewusst zu werden, dass er in seiner Position beteiligt ist, scharf geurteilt, zum Mitschuldigen am Beobachteten wird. Diese moralische Verstrickung erhielt bedeutsame Elemente durch die Konnotation der von Tisch und Objekten repräsentierten Gegenstände und ihrer Anordnung. Die Materialien des NEVER ENDING DINNER sind assoziationsreich.

So ist Tisch immer schon ein Ort der Gemeinsamkeit, an sich Ort des friedlichen Gastmahles, aber auch der Platz, an dem das Letzte Abendmahl stattfindet. Diese so zentrale Begebenheit aus dem Neuen Testament wird durch die Charakterisierung als Pessahfest (wie es die Evangelisten, ausser Johannes, beschreiben) eben zum Gastmahl.

Zugleich ist es ein ritueller Abschied Jesu von seinen Jüngern, Abschied im Hinblick auf das kommende Martyrium. Und an diesem Tisch wird Judas zum Verräter an seinem Lehrer und Gastgeber. An dieser Tafel spricht Jesus die Sätze, die ein für Heideckers Installation wesentliches Stichwort enthalten: Nehmet und esset. Dies ist mein Leib, der für Euch gegeben wird. Das tut zu meinen Gedächtnis (Lukas 22.19) Gedächtnis ist das Schlüsselwort für THE NEVER ENDING DINNER.


Der Aspekt des Erinnerns und Gedenkens findet seinen Ausdruck in mehreren Details der Installation. So sind die Filmdosen leer - sprechen von verlorener Erinnerung - die in ihnen gewöhnlich aufbewahrten Dokumente/Dokumentationen sind nicht mehr vorhanden. Sieben Lichter sind in der Reihe platziert, gleich an der Zahl wie auf dem Menoraleuchter, neben dem Davidstern das bekannteste Symbol des Judentums. Die Kerzen in den Filmbüchsen stehen da wie ein stilles Gedenken, wie Totenlichter. In manchen Regionen stellt man jedoch eine Verbindung von Anfang und Ende her, indem die Taufkerze am Todestag bis zum Verlöschen brennt.
Wessen durch das NEVER ENDING DINNER gedacht wird, darauf verweist ein weiteres Element des Arrangements: Die Haarbüschel lassen unmittelbar die Haarberge aus den Konzentrationslagern Nazideutschland vor dem inneren Auge aufscheinen. Haar ist eines der delikatesten Körperattribute, mit ihm sind grosse Mythen verknüpft. Hier sei allein an Samson erinnert, dem, als seine Locken geschoren wurden, alle Kraft verloren ging. In den Lagern und Gefängnissen ist das Scheren einer der entwürdigensten Akte, gleich zu setzen mit völliger Entblössung und Identitätsverlust. Die stummen Zeugen der Entwürdigung der Persönlichkeiten lagen im NEVER ENDING DINNER ausgebreitet und verwiesen darauf, wie Lagerinsassen zum Material gestempelt wurden.
Mit den Bestandteilen des Rückverweises durch Kerzen, Haare und Filmdosen provozierte die Installation das Gedenken an die Shoah; mit dem Arrangement der Spiegelwände, die die Heutigen integrierte, führte sie das historische Geschehen ins Jetzt über und mahnte vor der Wiederkehr des Grauens in Zukunft. Die reduzierte Form der Installation, die mit ihren wenigen ausgewählten Elementen entschieden Stille, Erinnerung und Appell bewirkte, gewann durch ihren Standpunkt in der Krypta eine zusätzliche Ausweitung: Die zentrale Achse des NEVER ENDING DINNER kreuzte in ihrer virtuellen Ausdehnung sowohl den Altar des Kirchenraums wie auch das hier liegende Epitaph. Damit verband das Objekt die beiden sakralen Punkte im Raum, denen Gedenken eingeschrieben ist.

Die Initialzündung für THE NEVER ENDING DINNER gaben die Dimensionen von Ort und Zeit: 1990, im Jahr nach dem Mauerfall, als der Jubel über das Zusammenwachsen alles andere zu überdecken drohte, entschied sich Gabriele Heidecker, den Riss, der jahrzehntelang durch Berlin ging, mit der ersten Fassung ihrer Installation zu thematisieren und im Arrangement von Haaren und Kerzen die gemeinsame Vergangenheit des Faschismus anzusprechen. Ein Entschluss, der damals unzeitgemäß gewirkt haben mag, der sich aber darin bestätigt, dass in den letzten zehn Jahren neonazistische Terroraktionen zugenommen haben. Die Spur, die aus THE NEVER ENDING DINNER aus der Vergangenheit mahnend in die Zukunft deutet, impliziert, dass Gabriele Heideckers Werk in seiner ersten und in seiner bisher letzten Fassung an Gedenken und bewusstes Handeln appelliert.

Nachbemerkung:
THE NEVER ENDING DINNER bietet durchaus auch eine weitere Deutung an, die sich erschließt, wenn das Werk aus dem kirchlichen Kontext oder von den historischen Orten entfernt wird. Haare, Kerzen, Kammer und Voyeursblick lassen auch an eine erotische Konstellation denken. Hier liessen sich Verbindungen zum Bacchanal herstellen und die Installation als Fest der Sinnlichkeit beschreiben, in das der Betrachter hinein gezogen wird. Da THE NEVER ENDING DINNER aber tatsächlich im Bremer Dom aufgebaut wurde, verfolge ich diesen Gedanken in diesem Text nicht weiter.

Rede, gehalten zur Eröffnung der Ausstellung

Copyright: Willy Athenstädt, Bern