Gabriele Heidecker

Anne Maier

Mein Weg kann auch dein Weg sein.
Ein Rahmentext zu Gabriele Heidecker, Marosch M. Schröder - ein Künstlerpaar

 

 

Meeting point - Begegnungspunkt - Ort des Treffens - Rendez-Vous - être au rendezvous - da wo du hingehst, will auch ich hingehen - dein Haus soll mein Haus sein - in deinem Grab werde ich dereinst begraben sein - ich bin Du und Ich, mein Du, dein Ich

Gabriele Heidecker und Marosch M. Schröder( www.maroschmschroeder.de)

 

Solange ein Künstler an der Arbeit ist, ist er sich bewußt, daß die Mittel, über die er verfügt - dazu gehören seine Materialien, der Stil, den er übernimmt, die Konventionen, denen er sich fügen muß, der ihm vorgeschriebene oder frei gewählte Gegenstand - sowohl eine Möglichkeit wie eine Beschränkung darstellen. Indem er arbeitet und die Möglichkeit nutzt, wird er sich seiner und ihrer Grenzen bewußt. Diese Grenzen fordern ihn heraus - auf einer handwerklichen, einer magischen oder einer imaginativen Ebene. Er stößt gegen eine oder mehrere Grenzen vor. Seinem Charakter und seiner historischen Situation entsprechend, variiert das Ergebnis dieses Vorstoßes zwischen einer kaum wahrnehmbaren Abwandlung der Konvention - wobei er nicht mehr verändert, als die Stimme eines Sängers eine Melodie verändert - und einer ganz originären Entdeckung, einem Durchbruch. Seine Evaluierung von Kunst und Zeit schließt der englische Kunstkritiker John Berger mit einem Zitat Max Raphaels ab, das in seiner ganzen Schärfe die wundervolle Unschärfe, die Kunst innewohnt und Kunst ihre unberechenbare Größe verleiht. Max Raphael schreibt: »Am Rande dessen, was ein Mensch kann, zeigt sich das, was er nicht oder noch nicht kann - was aber die Wurzel aller Kreativität ist.« Berger folgert richtig, indem er abschließend kommentiert, daß eine wissenschaftliche Kunstgeschichte mit dieser Kreativität ins Reine kommen muß.

Zwischen Klarheit und Sichtung erschließt sich das bisherige Werk von Gabriele Heidecker und Marosch M. Schröder. Beiden gemeinsam ist, daß die bildende Kunst, die Kunst an sich, ihnen immer schon Impetus und Leidenschaft war, sie doch beide erst nach einer Zeit des Suchens zum all-umfassenden Ort geworden ist. Mitte der achtziger Jahre haben die beiden zueinander gefunden. Meeting point, magischer Ort der Begegnung waren ferne Klänge, gespielt auf einem ebenso mythischen Instrument wie von einer symbolträchtigen Figur: Atahualpa Yupanqui.
Gabriele Heidecker und Marosch M. Schröder verbinden seither gemeinsame Schwingungen, erzeugt von verschiedenen Tönen. Als ob die Schwingungen der verschiedenen Töne, gespielt auf der Gitarre, ihnen Leitmelodie über das gemeinsame Leben hinaus in die künstlerische Auseinandersetzung wären. Im Gegensatz zu manch anderen Künstlerpaaren arbeiten Gabriele Heidecker und Marosch M. Schröder nicht gemeinsam. Der Weg ist das Ziel: man möchte lieber sagen: Es ist der Weg, der zueinander führt. Ein Bild drängt sich auf: So als habe jeder der beiden für sich beschlossen, die Chinesische Mauer vom anderen Ende her zu begehen, um sich im besten Fall in der geographischen Mitte zu treffen. Nicht faßbar jedoch ist eine solche Vorstellung aus dem Verständnis der Arbeit des jeweils anderen. Antipodisch wie Feuer und Wasser, auf parallelen Ebenen und sich in der Unendlichkeit vielleicht kreuzend, entspinnen sie ihre Geschichten.
Marosch M. Schröders Topographien ziehen sich, recken sich, strecken sich, um in konzentrischer Kreisform gefaßt, sich wieder auf sich selbst zu beschränken. Seine Topographien der Seele bewegen sich ständig zwischen den Genres. Am Schnittpunkt zwischen Malerei und Zeichnung erscheinen seine Zustandsbilder als harmonische Farbgebilde. Die Natur des Menschen und seine lebenszeitlichen Veränderungen und Evolutionen erlebt er staunend wie einst die Maler, die aus den dunstumwölkten Berliner Kneipen ans helle Tageslicht zurück-kehrten, um die Faszination »Mensch« zu sehen, den Menschen als Zerrspiegel der Seele. Malerisch sind die Skulpturen und Installationen von Gabriele Heidecker und skulpturale Bilder zugleich. Sie schafft zwei Seiten eines Ganzen, das in der Vereinzelung als ein großes Ganzes verstanden wird. - Rot - Farbe -Blut - Dissoziatives ganz anderen Ursprungs als das von Marosch M. Schröder, macht sie zu ihrem Werkzeug. Der Zufall wird zum Ereignis, die Kunst entsteht aus dem extrapolierten Instrument, der Farbe. Die geheimen Regeln der Schöpfung, die aus Chaos Ordnung werden ließ, sucht sie auf leichte, tänzerische Weise zu ergründen.
Wenn auch unvermittelt, so doch nicht ohne Grund, der folgende Exkurs zu Caspar David Friedrichs Landschaftskunst. »Friedrichs Landschaftskunst«, also, »steht im Kontext des epochalen Versuches der Philosophie, die Entzweiung - ausgedrückt im Auseinanderklaffen von Freiheit und Notwendigkeit - in einer Theorie der ästhetischen Totalität aufzuheben. Das Kunstwerk soll, indem es den Schein der Einheit in der Sinnlichkeit hervorruft, der Vermittler der Entzweiung sein: In der geschichtlichen Zeit, in welcher die Natur, ihre Kräfte und Stoffe zum Objekt der Naturwissenschaften und der auf diese gegründeten technischen Nutzung und Ausbeutung werden, übernehmen es Dichtung und Bildkunst, die gleiche Natur - nicht weniger universal - in ihrer Beziehung auf den empfindenden Menschen aufzufassen und >ästhetisch< zu vergegenwärtigen.« (John Berger) Am Spektakulärsten drücken dies die roten Craquelés aus. Sublimierungen bildnerischerischer Zufälligkeiten, sind sie ein Bild, das vor dem Bild steht. Schrunden, Wunden, tiefe Furchen, Graben und Täler, Verwerfungen, Farbschichtungen, Pigmentmassierungen - hier und in den Wannen in Indien, den mitgebrachten, importierten, hier den Fotographien davon: hier wird Malerei Auseinandersetzung mit dem Raum auf planer Fläche, die den Malgrund verletzt, den Bildgrund aufbricht und dem Pigment in seinem Bett keine Ruhe läßt. Der Farb-raum wird in Gabriele Heideckers Arbeiten wie in Marosch M. Schröders Bildern zum echten Raum. Dreidimensionalität scheint, wo keine ist. Sprach Heinrich von Kleist vom Verfertigen der Gedanken beim Sprechen, lassen beide Künstler beim Malen das Bild entstehen. Kein Plan steht am Anfang des Tuns, allein aus dem sich ergebenden Impetus entsteht das Bild. Wir erkennen uns in ihm.
Gabriele Heidecker und Marosch M. Schröder suchen nach dem Bild auf dem Weg des Erkennens. In der Vereinzelung, dem Aufsplittern finden beide und jeder auf seine Art die einzelnen Partikel, die sich aufs Neue zu einem Bild fügen. Ein rotes Bild, ist dann ein rotes, wenn die Wahrnehmung es als ein solches erfahren läßt. Wie in einem Erinnerungsbild taucht alles Rote auf und fügt sich mit den Flecken der anderen Farben des Prismas zu dem einen Rot zusammen. Rot ist nicht rot und doch rot.
Man glaubt schon mal da gewesen zu sein, glaubt den Blick aus dem Fenster in dem jenseits alles Hyperrealen agierenden Gemäldes zu erkennen. Marosch M. Schröder erzählt Geschichten in Bildern. Auf Leinwand fixierte Erinnerungen entstehen. Alles, alle Stile, alle verschiedenen Facetten unserer heutigen Medien sollen sich in ihren Bildern spiegeln. Marosch M. Schröder lädt den Besucher ein, sich an den Schnittpunkt zwischen Kunst und Leben, zwischen Fiktion und Realität zu begeben, um dort zum Sehen zu finden. Sehen ist immer Erkennen.
Mit dem Mut zum Direkten erzählt Marosch M. Schröder genauso wie Gabriele Heidecker von Dingen, die vielleicht einmal geschehen sind oder werden. Eine Spur der Zeichen zieht sich durch ihre Arbeiten. Das in einem komplizierten Prozeß gebundene Pigment, die Farbe, das Rot, lüftet in Gabriele Heideckers Arbeiten nach und nach ihr Geheimnis. Erinnerung setzt sich fort. Sie liegt in den Materialien, die Marosch M. Schröder verwendet. Reste der Farben, die in der Druckerei verwendet werden, sind ein Teil der Objektträger der Erinnerung, der andere ist die Hand, mit der er wasserlösliche Bühnenschminke aufträgt. Alles ist Anziehung und Abstoßung - zerstobene Wörter verbinden sich mit dem schönen Schein. Vergangenheit paart sich mit Gegenwart, die Zukunft scheint kurz bevor zu stehen. Und doch. Mit dem Begriff Zeit gehen sie beide ambivalent um: Eingefroren scheint das Geschehen auf ihren Bildern, die Zeit rennt, innerhalb und außerhalb des Rahmens, unaufhörlich und ohne Unterlaß.
Keine Botschaft, kein Nichts nirgends.

»Und nun kehre ich heim, im Besitz jener Jahre, die so neu sind, daß nie der Gedanke mir kam, sie könnten gealtert sein in der Seele,

die ihnen nun fern ist wie allem Vergangnen. Ich steige den Hang des Gianicolo hinauf, bis dort, wo die Straße sich weitet und endet

mit Bäumen und Resten der Mauer, Jugendstilvillen - am Rande der Stadt auf der welligen Ebene, die zum Meer hin sich öffnet. Und weiter

keimt in der Seele - dunkel und still wie die Nacht, die dem Duft überlassen - ein Saatgut, das lang schon zu reif ist,

Es wandelte sich die Materie Von einem Dezennium, der dunklen Berufung, als ich mich hingab zu klären

was jener Zeit der Ideale als ideale Gestalt einst gegolten. Jede Seite und Zeile"

(Pier Paolo Pasolini, Ausschnitt aus: Die Klage des Baggers, 1956 in Das Herz der Vernunft, studio dtv, 1991

copyright: Anne Maier, Berlin 2003

 

Aus dem Booklet zur Ausstellung: meeting point, 2003, Galerie Vayhinger, Radolfzell-Möggingen  (www.galerievayhinger.de)