Gabriele Heidecker

Christina Wendenburg

Die rote Spur   2003

 

Gabriele Heidecker führt uns buchstäblich am roten Faden entlang durch ihr Werk. Blutrote Teppichläufer bilden ein Wegesystem, in ihrer Installation »Blaubart Räume« von 1993. Rote Kreuze sind auf weißem Untergrund, in unterschiedlichsten Formaten und Techniken appliziert, in ihrer Arbeit »40 x Red Cross«, 1999/2000. Extreme Präsenz erhält die Farbe allerdings in ihren roten Craquelés, die aus in Wasser gelösten Farbsubstanzen entstehen. Allein durch Verdunstung gerinnt die Materie zu krustiger, rissiger und schrundiger Oberfläche. Wie brüchige rote Haut liegt sie in ihrem gerahmten Bett, löst sich von ihrem Untergrund, beugt und schält sich als satte Schicht oder blättert in eigenwilligen Texturen ab. Der Trocknungsprozeß selbst weist auf die Beziehung von roter Farbe und Blut hin. Doch menschliches oder tierisches Blut wurde in der Gegenwartskunst ausschließlich von Künstlern wie Felix Droese, Hermann Nitsch oder Peter Gilles als Malmittel benutzt. Allein wegen der frappanten Farbänderung beim Gerinnen und Austrocknen von Rot zu Braun ersetzen viele Künstler metaphorisch-inhaltlich Blut durch rote Malfarbe. In der Alltagsmythologie, den verschiedensten Religionen und im Volksglauben ist der Umgang mit Blut höchst ambivalent: einerseits wird Blut als Lebensenergie spendender Stoff mystifiziert, andererseits wird es massiv tabuisiert. Diese kulturelle Mystifizierung ist bereits in vor-religiösen Opferritualen geprägt worden. Frühkulturelle magische Gesellschaften kannten das Blutopfer als »Abwehrzauber«, die späteren monotheistischen religiösen Gesellschaften praktizieren schließlich nur noch das symbolische Opfer. Bei beiden Formen jedoch geht es um eine kulturelle Balance von Geben und Nehmen. Als Wesen »aus Fleisch und Blut« steht der moderne Mensch in seinem Selbstverständnis allerdings zwischen einer Sphäre des Untergründig-Animalischen und Gewalttätigen sowie einer Sphäre des Ätherisch-Göttlichen, der er sich als vergeistigtes Wesen transzendental anzunähern versucht. Diese Doppeldeutigkeit und extreme Polarisierung lotet die Künstlerin vor allem in ihrer Landart-Installation »Red Lake Field« aus, die sie 2001 in einem Park von Neu Delhi realisierte. Sowohl indische Mythologie, Eros, wie auch Harmonie von Natur und Kosmos werden hier an den Prozessen einer >in Farbe gegossenen, künstlichen Landschaft< symbolträchtig inszeniert. In Gabriele Heideckers Werk ist Blutrot vor allem eine zutiefst weibliche Farbe, Lebensenergie pur, als sei sie der Persephone, Phaidra und Antigone gewidmet.


Bühnenraum und gebaute Bilder

Gabriele Heidecker dient die rote Farbe immer auch zur Auseinandersetzung mit dem Objekt, zum Sprung von der Zweidimensionalität in die dritte Dimension. Mit Rot erobert sie sich ihre Räume, inszeniert transitorische Übergangssituationen und schafft immer wieder biografische Bezüge. Schon im Environment »Blaubart Räume« entführt sie den Betrachter in schwarze Kammern, zwingt ihn, sich vorwärts zu tasten, Aus- und Eingänge zu suchen und eröffnet geheime Blicke durch Gucklöcher und in Guckkästen. Je nach Art des Eintauchens - entsetzt, irritiert, fasziniert - entstehen Bilder aus Distanz oder Nähe, werden Trauma oder Wirklichkeit, schweben in der Ferne oder nähern sich als Projektion der eigenen, subjektiven Realität. Kunst wird hier zu einer Reminiszens an Gesehenes und Erlebtes, schmerzhafter Erfahrung, gepaart mit einem beängstigend manieristischen Erlebnis von Raumsog. Doch der Betrachter kann den Ausstieg aus dem Bild vollziehen, sich der Situation entziehen, obwohl er der engen Beziehung zwischen Ort und Installation unterliegt. Die ordnende Erkenntnis von Dingen und Bedeutungen, Symbolen und Assoziationen obliegt allein dem Betrachter. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Außenraum-Installation »Red Lake Field«, die als meditativer Ort den Nehru-Park in Delhi besetzt. Die roten Farbbecken sind scharfkantig Schwarz gerahmt und in ihrer Mitte jeweils mit einem wie auf der Wasserfläche schwebendem Rohr markiert. Wie Pfähle ragen sie aus dem Rot der Flüssigkeit bis diese verdunstet und als faltige, spröde, brüchige und schrundige, trockene Farbkruste zurückbleibt.

Einmal mehr hat die Künstlerin schwarze Röhren in rote Farbbecken gesetzt. Doch bildeten diese in vorangegangenen Werken eine Situation aus hohen und dicht stehenden Stelen, sind es nun reduzierte, als Mittelpunkt des Objekts wirkende Zentren. Von ihnen scheint Sog und Bewegung, Negation und Implosion auszugehen, ohne daß sie die Farbfläche dominieren. Sie sind Quelle und Abfluß, energiegeladener Mittelpunkt und wirken dem metaphorischen Prozeß von Flüssigem zu Festem entgegen. Die Verwandlung von spiegelnder Farbfläche zu sprödem und rissigem Craquelé begleiten sie statisch. Ist die Farbmasse anfangs mit Wasser verdünnt und gerinnt sie schließlich zu harter Materie, so widersetzen sich die Röhren nicht nur dem Prozeß von Verwandlung und Verfall, sondern durchbrechen ihn auch.


Die Symmetrie des Unberechenbaren

Im Sinne des Verwandelbaren, des nicht aufzuhaltenden Verfalls, fasziniert das >Dazwischen< im Werk von Gabriele Heidecker. Der Betrachter sieht, was für den Moment, den Augenblick, für seinen Blick vorhanden ist. Sie versetzt ihr Publikum in den Zustand der Passage, schafft Passagenwerke zwischen >innen< und >außen<, >Privatem< und >Öffentlichem<, die weder im >Eigenen< noch im >Fremden< angesiedelt sind.

Sie arbeitet mit dem eigenen und kollektiven Unbewußten, dem Trauma, dem Schmerz der Erfahrung einerseits und der Sehnsucht nach Harmonie andererseits. Doch gerade dieser Zwischenzustand wird oft als undefiniertes, Angst erregendes Intervall angesehen. Gabriele Heidecker schürt in ihrem Werk >Schwellenängste<, die nur mit Neugier und Selbstbewußtsein überwunden werden können. Sie belohnt den Betrachter aber auch mit existentiellen >Schwellenerfahrungen<. So birgt selbst das Symmetrische in ihren Installationen das Unberechenbare, verbergen die trennenden Zwischen-Zeiten der Übergänge zunächst den Blick auf das Ganze, um schließlich die ausdrucksstärksten Bilder und Metaphern zu offenbaren.

Ihre Installationen loten den Zustand zwischen unmittelbarem Seh-Ereignis und Erfahrung, Vergangenheit und Zukunft, Ritual und Chaos aus. Sie läßt uns trotz der Ungewißheit der Zukunft auf die Kraft der Bilder vertrauen und verwandelt die Passage in einen kreativen Prozeß der Selbstfindung. Simulation und Identifikation

Gabriele Heidecker simuliert Räume in Endlos-Perspektiven. Die weiten Gänge der »KunstKaserne«, in der sie mit Marosch Schröder seit 1986 ihre eigenen Ausstellungen inszeniert, fordern zu dieser extremen Auseinandersetzung mit dem manieristischen Raum heraus. Doch die Künstlerin verfällt hier nicht dem Sog der Perspektive, sondern bricht sie, fordert Blickwechsel und Spiegelungen heraus und überläßt keine mögliche Sichtachse dem Zufall. Sie spielt, wie in der Installation »Vitual Way« 2000/01 in ihren semitransparenten gläsernen Spiegeln mit der Suggestion des Augenzeugen und der scheinbaren Identifikation des Ich im Raum. Oft betritt der Betrachter unvorbereitet das Bild, sucht verwirrt Orientierungsmöglichkeiten bis er sich >verortet< hat und nimmt den >Zerfall des Bildes< durch seine von Neugier stimulierte Bewegung oft erst zeitversetzt zur Kenntnis. Scheinbar Unsichtbares wird sichtbar und für Momente überblendet, gespiegelt, bevor es sich im Fluß der Bewegung auflöst.

In exzellenten fotografischen Arbeiten - »Blaubart Räume - 10 single views« und »Virtual Way - 14 sights« - hat Gabriele Heidecker diese>Zwischen-Zustände< gebannt und die >rites des passage< in Sequenzen zerlegt. Die Simultaneität der Blicke entwirft einen Raum, der allein von unserem mythischen und symbolischen Denken kreiert wird. Genau diesen Moment sucht die Künstlerin in ihrer Fotografie aufzuspüren, um unsere Innen- und Außenwelt, unser Fühlen und unsere Wahrnehmung erfahrbar und abbildbar zu machen. So führt sie die Installation, die sie zu Beginn ihres schöpferischen Prozesses als eine Art Traumbild wahrgenommen hat, zurück zum Bild. In diesem Sinne entwirft Gabriele Heidecker Szenarios von >Raum-Metaphern<, deren vorläufige Situationen sie fotografisch festhält und zu einer Re-Inszenierung von Schwellenerfahrung verdichtet. Erzählzeit und erzählte Zeit, Zustand und Augenblick, symbolischer Abstand und inszenierte Nähe schaffen Übergänge eines >Ins-Bild-Treten< und >Aus-dem-Bild-Gehen< - ohne Schwellenangst.

Der Ausstellungstitel »Reflektion und Spiegelung« des gemeinsamen »PAAR-Projektes« von Gabriele Heidecker und Marosch Schröder nahm bereits 1993 diesen Aspekt der Identifikation im Anderen auf. Für Gabriele Heidecker ist dies ein schier unerschöpflicher und bis heute variantenreicher Arbeits-Untertitel geblieben. Kontinuierlich kreisen ihre Werke um den Aspekt von Dauer, Simultaneität und Passage. Ihre Materialien ordnen sich diesen Zustandsbeschreibungen unter, verkörpern Transparenz, Transzendenz, Metamorphose bis hin zum Verfall. Faszinierend ist die Vielseitigkeit ihrer Rauminstallationen, die sowohl Bildarchitektur als auch >gebaute, inszenierte Bilder und Bühnen< darstellen, begehbar und aus der Distanz wie auch aus der Nähe symbolisch aufgeladen.

Gabriele Heidecker inszeniert scheinbar schwebende Objekte im Halbdunkel, endlose Spiegelungen im Tageslicht, bricht Perspektiven und konstruiert gleichzeitig unerwartete Durchblicke wie im »Projekt AUS«. Sie verzichtet auf übersteigerte theatralische Lichteffekte, reduziert und bündelt Blicke, um symbolische Verdichtungen zu schaffen, die die Bildwirklichkeiten zu Erlebnissen des inneren Auges werden lassen. Dabei bedient sie sich sowohl sakraler, als auch medizinischer und alltäglicher Metaphern, läd sie im inszenierten Zusammenspiel bedeutungsvoll auf und entläßt den Betrachter schließlich mit der Erfahrung der eigenen, oft extrem emotional beladenen Projektion.

Copyright: Christina Wendenburg, Berlin, 2003

Aus Booklet zur Ausstellung: meeting point, Galerie Vayhinger Radolfzell-Möggingen www.galerievayhinger.de